Stadtlandwirtschaft benötigt sichere Energieversorgung für wettbewerbsfähige Produktion
Die Vollversammlung der Wiener Landwirtschaftskammer fand Corona-bedingt erstmals auf der Bast in Wien-Simmering statt. Mit Stolz und Selbstbewusstsein reagierten die verschiedenen Sparten nach der Corona-Krise zu den Leistungen der Wiener Stadtlandwirtschaft: Seit dem Lockdown Mitte März hat die Wiener Stadtlandwirtschaft - insbesondere der Gartenbau -, jeden Tag aufs Neue bewiesen, wie wichtig es für die Bundeshauptstadt ist, über eine unabhängige, regionale und nachhaltig produzierende Landwirtschaft innerhalb der Stadtgrenzen zu verfügen. Damit konnte die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Lebensmitteln bewerkstelligt werden. Diese Versorgungssicherheit müsse durch entsprechende Maßnahmen für die Zukunft gewährleistet und ausgebaut werden, was auch dem wachsenden Wunsch der Verbraucher nach einer autarken Nahrungsmittelversorgung entspreche, stellte die Vollversammlung der Landwirtschaftskammer (LK) Wien in ihrer Sitzung am 1. Juli einhellig fest. Als maßgebliche Faktoren wurden Standortsicherung und Energiesicherheit genannt.
Gesellschaft wird Wert regionaler Lebensmittelerzeugung bewusst
Wien setzt seit jeher auf eine eigene Gemüseproduktion. Im Vorjahr haben die rund 200 Familienbetriebe mehr als 71.000 t verschiedenster Sorten geerntet. “Diese regionale Produktion hat sich heuer bewährt und in der Gesellschaft einen Bewusstseinsprozess in Gang gesetzt, den fortzuführen nun unsere Aufgabe ist“, so Bauernbund-Obmann und LK-Präsident ÖkR Ing. Franz Windisch. „Zugleich haben viele Menschen - insbesondere die freiwilligen heimischen Erntehelfer -, erkannt, wie wenig die bäuerliche Arbeit mit ihren idyllischen Vorstellungen davon gemeinsam hat und dass es für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung verlässliche Arbeitskräfte braucht, die ihren Job verstehen.“
Gartenbau braucht Energiesicherheit
„Im Zusammenhang mit der Lebensmittelunabhängigkeit hat auch die landwirtschaftliche Energieautarkie zu stehen. Ohne einen breiten wettbewerbsfähigen Mix an leitungsgebundener Energie egal welcher Form, ist die gärtnerische Produktion in Wien großteils in ihrem Fortbestehen gefährdet“, so Windisch. Er fordert die Stadtregierung daher zu einem “Agrarischen Round-Table“ auf, bei dem diese Fragen gemeinsam erörtert und Maßnahmen vereinbart werden. „Nur mit der entsprechenden Optimierung der Energiesicherheit können unsere bäuerlichen Betriebsstandorte, die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sowie in den vor- und nachgelagerten Bereichen in Wien aufrechterhalten werden und damit die notwendige Versorgung mit ‘smarten‘ Lebensmitteln, die gentechnikfrei, nachhaltig, klimaschonend von unseren regionalen Familienbetrieben hergestellt werden.“
Klare Herkunftskennzeichnung und Entlastungspaket
Damit die Verbraucher nicht nur im Lebensmitteleinzelhandel die bewusste Kaufentscheidung für heimischen Qualitätserzeugnisse treffen können, sondern ebenso bei verarbeiteten Waren und in privaten sowie öffentlichen Gemeinschaftsverpflegungen, bekräftigt die LK Wien ihre Forderung nach Ausweitung der verpflichtenden Herkunftskennzeichnung für Primärzutaten in diesen Bereichen.
Wie andere Wirtschaftsbranchen hat auch die heimische Land- und Forstwirtschaft durch die Corona-bedingten Maßnahmen erheblichen Schaden genommen, ist der Gesellschaft in dieser Zeit aber ein verlässlicher Partner und Versorger gewesen. Mit dem jüngst beschlossenen Entlastungs- und Investitionspaket in der Höhe von 400 Mio. Euro für die bäuerlichen Betriebe hat die Bundesregierung nun ein positives Signal gesetzt.
Situationsberichte aus den Branchen
Im Wiener Gartenbau konnte die Nachfrage bei Snackgemüse leicht gesteigert werden, es gab aber auch Verlierer, nämlich jene Betriebe, die hauptsächlich die Gastronomie beliefern. Zweischneidig ist die Situation ebenso bei den landwirtschaftlichen Blumenproduzenten, die zwar während des Shutdowns den Verkauf fortführen durften, den Schnittblumenerzeugern unter ihnen aber durch den Ausfall entsprechender Veranstaltungen (Hochzeiten, Feste, etc.) der Markt weggebrochen ist.
Im Ackerbau haben die ausbleibenden Niederschläge im Winter und Frühjahr die Ernteaussichten maßgeblich verschlechtern. “Bei allen Winterungen sind nur bescheidene Mengen zu erwarten und die Sommerungen mussten bewässert werden, damit sie überhaupt aufgehen. Andere Feldfrüchte wie Zuckerrüben haben erst nach den Regenfällen im Mai zu wachsen begonnen und befinden sich nun in einer sehr späten Entwicklungsphase“, fasste KR Ök.-Rat Ing. Michael Niedermayer zusammen.
Im Weinbau kam es durch Corona zu einem massiven Absatzeinbruch am Heimmarkt und im Export. Der Bundesweinbauverband hat daher beschlossen, einen Teil der lagernden Weine der Krisendestillation zuzuführen. In den Wiener Buschenschänken ist die Besucherfrequenz teils noch verhalten. Die Gastrogutscheine sowie eine Verlängerung der Öffnungszeiten von kleinen Buschenschänken in den Weingärten auf sieben Tage die Woche und bis Jahresende, sollen den Absatz ankurbeln.
Strategieumsetzung “Zukunft Stadtlandwirtschaft 2025“ schreitet vor
Der abschließende Blick auf den Kammer-Tätigkeitsbericht 2019 zeigt, dass die drei strategischen Ziele (Marken- und Standortentwicklung sowie Bio-Landwirtschaft) und elf Handlungsfelder konsequent weiterverfolgt werden. Beispiele dafür sind die Kooperation mit der Ottakringer Brauerei, die ihr “Wiener Original“ erstmals aus Braugerste aus der Bundeshauptstadt verwendet hat, wie auch die Novellierung des Kammer- und des Wiener Weinbaugesetzes. In Vorbereitung befinden sich Evaluierungen des Agrarstukturellen Stadtentwicklungsplans, der 2024 für weitere zehn Jahre beschlossen werden soll, sowie des Bio-Aktionsprogramms Wien 2021+. Dessen Nachfolgeprogramm soll nicht nur auf die Produktion ausgerichtet sein, sondern sich in gleichem Maße auf das Konsumverhalten konzentrieren, um die Nachfrage zu erhöhen.